MusikWoche

Recorded & Publishing

Das Hamburger Label und 360-Grad-Unternehmen [Grand Hotel van Cleef](/company/grand-hotel-van-cleef-musik) konnte in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiern. Im Interview mit MusikWoche ziehen Gründungsmitglied und Co-Geschäftsführer [Reimer Bustorff](/person/reimer-bustorff) und der "Head of Everything" Rainer G. Ott Bilanz.


MusikWoche: Wer hatte eigentlich konkret die Idee zur Gründung von Grand Hotel van Cleef? War die Konstellation mit [Thees Uhlmann](/person/thees-uhlmann_2), [Marcus Wiebusch](/person/marcus-wiebusch_1) und Reimer Bustorff als Führungstrio von Anfang an klar?


Reimer Bustorff: Die Idee ist ja aus der Not heraus geboren. Marcus und ich haben zusammen Kettcar gegründet, waren damals schon gut mit Thees von Tomte befreundet und wollten unser Debütalbum veröffentlichen, aber niemand wollte es herausbringen, also sagte Marcus irgendwann: Dann machen wir das halt selber.


MusikWoche: Mit welcher Zielsetzung sind Sie an den Start gegangen? Inwieweit haben sich die ursprünglichen Hoffnungen und Erwartungen erfüllt?


Reimer Bustorff: Wir haben einen Businessplan für zehn Jahre erstellt, um einen Gründer-Kredit zu bekommen; den wollte uns aber auch keiner geben, es waren aber ehrlich gesagt nach vier Jahren auch nur noch Gänsefüßchen in den Feldern. Dann haben wir uns die Kohle bei Marcus' Mutter geliehen - 30.000 Euro. Damit haben wir die erste Kettcar-Platte rausgebracht und ihr das Geld zurückgegeben. Was in 20 Jahren ist, haben wir uns nie überlegt, machen wir auch jetzt lieber nicht.


MusikWoche: Auf was sind Sie im Rückblick auf 20 Firmenjahre besonders stolz?


Reimer Bustorff: Auf jede einzelne Veröffentlichung und jedes einzelne Konzert.


Rainer G. Ott: ... und auf 20 Jahre. Hätte man so ja nicht erwartet. Und dass wir alle noch Freunde sind. Hätte man so ja auch nicht erwartet.


MusikWoche: Was hätte besser laufen können?


Reimer Bustorff: "Hätte, hätte...". Da denken wir nicht drüber nach. Was kann besser laufen? Hinterfragen, gegebenenfalls ändern und weiter.


Rainer G. Ott: Ja, seh' ich genauso, und wirklich einfallen tut mir auch nichts, außer das wir Gisbert zu Knyphausen nicht gesignt haben.


Welche Vorteile bringt die 360-Grad-Strategie mit Label, Verlag und Livebereich unter einem Dach?


Rainer G. Ott: Ehrlich gesagt, gibt es für 'ne kleine Firma wie uns einfach keine Alternative. Aber der Vorteil liegt natürlich auch auf der Hand. Durch das 360-Grad-Modell sind wir noch näher an den KünstlerInnen und können gezielt agieren und schnell reagieren.


MusikWoche: Die offizielle Jubiläumsfeier mit den Fans fand ja Ende August in Hamburg am und im Knust in deutlich kleinerem Rahmen als noch die Fete zum 15-jährigen Geburtstag 2017 auf dem Großmarkt statt - wohl bewusst in Anbetracht der angespannten Welt- und Wirtschaftslage?


Rainer G. Ott: Ja, genauso. Es hätte sich einfach nicht richtig angefühlt, da groß aufzufahren und ein Festival mit 15.000 Leuten auf die Beine zu stellen. Aber das nicht zu feiern, war eben auch keine Alternative, und so haben wir unsere Freunde vom Knust gefragt, ob sie sich das vorstellen können, dass wir draußen die Old School Bands (Kettcar und Thees Uhlmann) und drinnen die New School Bands (Shitney Beers, Intergalactic Lovers, Accidental Bird, Gringo Mayer) spielen lassen. Und siehe da: Auch mit 2000 Leuten lässt sich eine wundervolle Party feiern.


MusikWoche: Wie viele Mitarbeitende umfasst die Firma heute? Reicht dieser Stab aus für die vielfältigen Aufgaben?


Reimer Bustorff: Wir haben zwei Mitarbeiter im Shop und sechs MitarbeiterInnen in Label und Booking. Hoffentlich im Februar wieder eine Auszubildende.


Rainer G. Ott: Wir müssen da schon interdisziplinär agieren. Also, wenn wir 'ne größere Veröffentlichung haben, da müssen da schon auch alle mal ran und Pakete packen. Aber das haben wir in 30 Jahren DIY ja nun mal von der Pike auf gelernt.


MusikWoche: Wie schwer hat die Coronapandemie das Unternehmen getroffen? Hat das Grand Hotel staatliche Hilfen beantragt/bekommen? Welche eigenen Maßnahmen haben geholfen, die Krise zu überstehen?


Reimer Bustorff: Wir hatten anfangs Glück, da die letzte Kettcar-Tour zur Kampagne der "Ich vs. Wir" gerade beendet war, als Corona losging. Wir haben später Hilfen vom Bund und von der Stadt erhalten, das hat uns sehr geholfen.


Rainer G. Ott: Zusätzlich ist es so, dass wir im Booking relativ umtriebig waren. Wir waren sicherlich eine der Agenturen, die trotz Corona viele Konzerte ermöglichen konnten. Alleine mit Thees Uhlmann konnten wir in den letzten drei Jahren über 180 Konzerte spielen. Zusätzlich waren Grillmaster Flash, Jenobi und Intergalactic Lovers viel unterwegs.


MusikWoche: Wer ist in der Geschäftsführung genau für was zuständig? Lassen sich die Aufgaben für die Firma und die eigenen Musikerkarrieren immer in Einklang bringen?


Reimer Bustorff: Marcus kümmert sich um Verlagsangelegenheiten und Backkatalog, Thees ist weiterhin in die Kommunikation nach außen eingebunden, und ich kümmere mich um die Finanzen und administrativen Dinge. Mit dem Team im Rücken, der Digitalisierung und Mobilität lässt sich das ganz gut in Einklang bringen.


MusikWoche: Wie läuft die Entscheidungsfindung, wenn die Grand-Hotel-Betreiber sich mal gar nicht einig sind?


Rainer G. Ott: Da läuft in den letzten Jahren schon relativ viel über mich. Aber grundsätzlich haben wir da so eine Prämisse, und die heißt: Wenigstens eine Person muss - wir nennen das immer so - brennen. Und das Feuer ist dann eigentlich immer stark genug, um die anderen mitzureißen.


MusikWoche: Wie viele Acts betreut Grand Hotel van Cleef momentan als Label, als Verlag und im Livebereich?


Reimer Bustorff: Als Label 64, wovon zwölf gerade aktiv sind, im Booking 21 und als Verlag 30.


MusikWoche: Was sollten KünstlerInnen oder Bands mitbringen, um beim Grand Hotel für einen Vertrag in Frage zu kommen?


Rainer G.Ott: Was Einzigartiges. Was Spezielles. Heutzutage hast du nur noch zwei Möglichkeiten, um ­Erfolg zu haben. Entweder du hast Hits, oder du hast das Potenzial, Fans zu generieren. Für Hits im klassischen Sinne sind das GHvC und seine KünstlerInnen nicht unbe­dingt bekannt. Aber das mit den Fans, das klappt ganz gut. Und macht Freude.


MusikWoche: Welche besonderen Herausforderungen stellen sich derzeit beim Künstleraufbau und der Finanzierung von Plattenaufnahmen und Tourneen?


Rainer G. Ott: Die Frage würde ja 'ne ganze Magisterarbeit füllen. Kurz gefasst lässt sich auf jeden Fall sagen, dass es nicht einfacher wird, und - so ehrlich müssen wir sein - ohne Förderung von außen, seien es jetzt Initiative Musik oder die Label­förderung Hamburg, quasi nicht mehr möglich ist.


MusikWoche: Was sind derzeit die vielversprechendsten Acts des GHvC-Portfolios?


Rainer G. Ott: Neben Kettcar und Thees Uhlmann läuft die Fjørt-Kampagne gerade sehr gut. Im nächsten Jahr planen wir zusätzlich Platten mit Shitney Beers, Accidental Bird und (endlich wieder) Adam Angst. Zusätzlich werden wir mit dem Mannheimer Gringo Mayer die erste GHvC-Mundartplatte veröffentlichen. Das wird spannend.


MusikWoche: Welchen Anteil an den Umsätzen haben bei Grand Hotel van Cleef als Label die physischen Veröffentlichungen auf Vinyl und auf CD?


Reimer Bustorrf: Der physische Anteil gesamt liegt etwa bei 35 Prozent, davon wiederum beträgt der CD-Anteil rund 60 Prozent.


Rainer G. Ott: Wobei sich das natürlich auch von Band zu Band total unterscheidet, was mit Altersstruktur etc. zu tun hat. Wir haben auch so eine Art Fanclub. Den Club Van Cleef. Da sind 200 Personen drin, die Vorkaufsrecht auf Veranstaltungen haben und jede unserer Veröffentlichungen in einer eigenen Vinylfarbe bekommen. Da haben wir 182 Vinyl- und 18 CD-Mitgliedschaften.


MusikWoche: Wie läuft das Livegeschäft bei Euch momentan angesichts Fachkräftemangel, Corona, steigender Kosten und Inflation?


Rainer G. Ott: Wir hatten das Glück, dass Thees Uhlmann in unterschiedlichsten Setups während der ganzen Pandemie gespielt hat. So haben wir hautnah erfahren, was es für alle Beteiligten heißt, wenn die BesucherInnenzahlen einbrechen, während parallel Produktionskosten steigen. Zwischendurch gab es dann eine leichte Entspannung und Goldgräberstimmung durch die Neustart-Kultur-Hilfen. Jetzt, wo diese auslaufen, haben wir eine Art Katerstimmung. Die BesucherInnen sind noch immer zurückhaltend auf Grund der Gemengelage aus Inflation, Pandemie, Krieg und geändertem Konsumverhalten. Gefühlt kommt es zu einer Marktbereinigung, unter der vor allem die Touren leiden, bei denen bis dato alle geradeso mit einer schwarzen Null rausgekommen sind. Wo man früher mit 100 BesucherInnenn rechnen konnte, kommen heute mit Glück 40 BesucherInnen - das reicht aber dann nicht mehr, um den Club aufzuschließen und der Band ein warmes Essen hinzustellen. Für neue Bands wird es definitiv schwieriger, und da versuchen wir von Anfang an mit allen Beteiligten im Austausch zu bleiben. Nichts ist deprimierender, als Touren zu buchen, die ganze damit verbundenen Arbeit zu machen und dann doch absagen zu müssen.


MusikWoche: Wie viele Übernahmeangebote für GHvC hat es gegeben? Warum haben Sie die stets abgelehnt?


Reimer Bustorff: Drei oder vier, soweit ich mich erinnere. Tatsächlich waren alle indiskutabel und zielten zumeist darauf ab, uns eine Büropauschale zukommen zu lassen, mit der wir dann geflissentlich ganz in Ruhe aber ohne Zukunftsangst unseren Job weiter machen sollten. Wir hatten aber gar keine Zukunftsangst.


MusikWoche: Was steht im Jubiläumsjahr fürs Weihnachtsgeschäft noch an, was sind die wichtigsten Pläne für 2023?


Rainer G. Ott: Zum einen erschien am 2. Dezember Thees Uhlmans erste Live-Platte, "100.000 Songs - Live in Hamburg". Am 9. Dezember ist "This Is Pop" der Hamburger Newcomerin Shitney Beers herausgekommen. Und wir haben 20 GHvC-Klassiker-Alben auf marmoriertes Vinyl gepresst, die in vier zusammgehörigen Sammlerboxen im Drei-Monats-Rhythmus erscheinen.


MusikWoche: Was macht Ihnen in diesen schwierigen Zeiten Hoffnung und Mut auf mindestens 20 weitere spannende und ertragreiche Jahre Grand Hotel van Cleef?


Rainer G. Ott: Bier und das Wissen über unsere Stärken und Schwächen.


Interview: Frank Medwedeff


___zur Person


Reimer Bustorff wurde 1971 in Hamburg geboren. Er ist Bassist und Gründungsmitglied der Hamburger Band Kettcar und neben Thees Uhlmann und Kettcar-Kollege Marcus Wiebusch Mitbegründer und Geschäftsführer der Plattenfirma Grand Hotel van Cleef.


___ zur Person


Rainer G. Ott kam 1970 in der Pfalz zur Welt. Einen Tag nach dem Abitur zog er nach Köln, sei dort in der DIY-Punkszene der 90er-Jahre »explodiert« und lernte Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff und Thees Uhlmann über ihre damaligen (Punk-)...

Grand Hotel van Cleef: "Das mit den Fans klappt ganz gut"